Warum es eine Innovation beim Vokabeln lernen braucht

→ Ein Artikel von Lennard Appel

Vokabeln lernen funktioniert seit 50 Jahren gleich

Das Vokabellernen ist ein leidiges Thema für meine Schüler:innen. Denn das Kerngeschäft bleibt nun einmal die Einzelarbeit des Individuums. Kein Kreuzworträtsel, keine kreativ-differenzierende Aufgabe, in der ein Schüler ein Bild malt, in dem möglichst viele der aktuellen Vokabeln vorkommen, die dann die anderen benennen müssen, ersetzt am Ende des Tages die stumpfe Listen- oder Karteikartenarbeit. 

Liebe Leser:innen, Sie mögen mir jetzt vorhalten, doch selbst schuld zu sein: Vokabeln Lernen muss eine Tätigkeit werden wie das Zähneputzen, die den Lernenden in Fleisch und Blut übergeht, dann ist es auch nicht mehr so schlimm. Sie mögen auch einwenden, dass Schule ohne ein wenig Maloche nun einmal nicht funktioniert, dass ihnen diese Tendenz, die jungen Menschen in Watte zu packen ohnehin gegen den Strich geht. Mit beidem mögen sie Recht haben.

Unterricht sollte Spaß und Spannung vermitteln

Doch wenn Sie den Schnuppertag kurz vor der Fremdsprachenwahl planen, was zeigen Sie, was versprechen Sie den Lateiner:innen in spe, worum es in unserem Fach geht? An meinen bisherigen Schulen war es eigentlich immer eine Mixtur aus den Mythen und Geschichte, Ovid und Caesar, sowie Schatzsuchen oder Detektivspielen, dem Übersetzen. Das zieht immer! Und deswegen nehme ich persönlich es dann als Etikettenschwindel, ja Betrug, wahr, wenn die Schüler:innen am Ende ihrer Schullaufbahn mein Fach in Erinnerung behalten, bei dem es vor allem um Vokabeln und Formen ging. 

Ich erinnere mich an unzählige Gespräche während meines Studiums, bei denen die Frage nach meinem Studiengang nur zwei unterschiedliche Reaktionen hervorrief: „Oh Gott, Latein. Ich habe es gehasst. Wir hatten einen Lehrer, der hat das so kaputt gemacht. Immer nur lernen für etwas Staubtrockenes.“ und „Geil! Wir hatten einen so großartigen Lehrer! Wir haben so viel diskutiert und die spannenden Geschichten gelesen. Ich profitiere heute noch so viel davon!“

Was ich brauche? Die eierlegende Wollmilchsau!

Was will ich also? Die Quadratur des Kreises: Vokabeln lernen soll attraktiv und zeiteffizient sein. Die Art des Vokabeln Lernens muss den Schüler*innen bei der Entscheidung, ob sie lernen oder nicht, über den Rubikon helfen:

Wenn Schüler:innen abwägen, ob sie jetzt Vokabeln lernen oder nicht, muss auf der „Ja, mache ich“-Seite mehr stehen als auf der „Ne, lieber nicht“-Seite. Und da reichen „Vokabeln lernen ist wichtig“ oder „Schule geht ohne Maloche nicht“ kaum aus.

Schule oder besser die Dinge, die wir dort lernen, sollten identitätsstiftend sein

Diese Identitätsstiftung nehmen Schüler:innen als wertvoll war und sind dazu bereit dafür, Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Identitätsstiftend in Latein sind die Inhalte, die Beschäftigung mit den Gedanken der Antike. Sie helfen den Schüler:innen ihre Werte, ihren Charakter zu entwickeln, sich in ihrer Umwelt zu verorten und einen Kompass für ihr Leben zu entwickeln. Das Vokabeln Lernen ist dazu nur ein Hilfsmittel. Ohne es ist die Beschäftigung mit diesen Inhalten zwar nicht möglich, aber es darf auch durch seinen (Zeit)Aufwand das Eigentliche nicht überschatten. 

Neben der Schule gibt es natürlich noch andere Dinge, die Identität stiften, z.B. die eigene Freizeitgestaltung, Hobbies. Wenn Lernen bedeutet, bei diesen Dingen Abstriche machen zu müssen, wird dies junge Menschen mit einer noch weniger ausgeprägten Impulskontrolle, davon abhalten, den Rubikon zu überqueren

Vokabeln lernen muss in angemessener Relation zu dem stehen, was dem Individuum subjektiv wichtig erscheint

Das Vokabeln Lernen muss also zeiteffizient sein – es darf in der Wahrnehmung der Schüler:innen nicht die eigentlichen Unterrichtsinhalte überschatten. Und die Entscheidung „Vokabeln oder Hobby“ darf nicht der Regelfall sein (ganz vermeidbar ist es nicht, sollte es aus Sicht des Lernen für das Leben vielleicht auch nicht sein). In der Praxis muss ich also mein Versprechen aus dem Unterricht, dass „10 Minuten jeden Tag lernen reichen“ a) auch wirklich den gewünschten Lernerfolg bringen und b) praktisch umsetzbar sein, z.B. in dem in der U-Bahn auf dem Weg zum Sport gelernt werden kann.

Fazit: Es braucht neuartige Konzepte für zeitgemäßes und selbstwirksames Vokabeln lernen.

Lesen Sie dazu gerne weitere Artikel wie ➔ Wie digitale Werkzeuge selbstbestimmtes und zeiteffizientes Lernen ermöglichen

Lennard Appel

Lennard Appel

Lehrkraft für Latein & Englisch