In der Wissenschaft nichts Neues: Vokabeln sind wichtig!
Das Vokabellernen ist für den Fremdsprachenunterricht ein wichtiges Thema. Da macht selbst Latein, auch wenn es sonst ja gerne eine didaktische Extrawurst hat, keine Ausnahme.
Besonders eindrücklich blieb mir diesbezüglich eine Sitzung aus meinem Referendariat in Erinnerung, in der uns unser Studienleiter zwei deutsche Texte vorlegte: In einem Text waren nur ein Drittel (glaube ich) der Wörter durch Kunstwörter ersetzt, der Rest war ein ganz normaler in sich schlüssiger Text. Trotzdem hatten wir keine Chance den Inhalt auch nur im Ansatz zu verstehen.
Der zweite Text enthielt ausschließlich „Grundformen“ – Substantive im Nominativ, Verben im Infinitiv Präsens Aktiv. Obwohl fast jedes Wort grammatikalisch quasi nutzlos war, verstanden wir den Text schon beim ersten Lesen.
Moral von der Geschicht: Für das Textverständnis, auf den Lateinunterricht bezogen also für das Übersetzen ist Grammatik absolut nachrangig. Was zählt sind Vokabeln, Vokabeln, Vokabeln. Das ist mir also durchaus bewusst.
Warum Vokabeln im Unterricht zu kurz kommen
Wenn mir auch dieses Beispiel so gut im Kopf geblieben ist und ich die Anekdote (wie gerade) auch gerne erzähle: In der Schulpraxis erwische ich mich immer wieder dabei, dass ich diesen Umstand gerne ignoriere: Wie im Krieg das erste Opfer die Wahrheit ist, so ist im Stress des Unterrichtsalltags das erste Opfer das Vokabellernen.
Wenn aufgrund von Wander- und Feiertagen wieder einmal die Unterrichtszeit knapp wird und ich die Wahl zwischen auf der einen Seite den beliebten Aufgaben zu Rezeption und Interpretation und auf der anderen Seite Vokabeln umwälzen habe, entscheide ich mich fast immer für ersteres.
Wenn es darum geht für die nächste zentrale Überprüfung ein bestimmtes Textpensum zu schaffen, wird aus einer eigentlich zur Hälfte Übersetzungs-, zur Hälfte Vokabelhausaufgabe schnell eine große Übersetzungshausaufgabe.
Wenn es darum geht, die Schüler:innen ein wenig zu entlasten, weil sie gerade mitten im Vorabitur stecken, dann streiche ich zuerst den nächsten Vokabeltest. In der Arbeit oder Klausur gebe ich dann als allererstes jedes viris an. Ich weiß genau, dass ich sonst bei einem signifikanten Teil des Kurses etwas von „Gewalt“ lesen müsste. Müsste ich mich darüber wundern? Sicherlich nicht. Man liegt ja, wie man sich bettet.
Warum ignoriere ich wissenschaftlich Belegtes?
Woran liegt es also, dass ich entgegen wissenschaftlichen Fakten das Vokabellernen immer wieder hintenanstelle? Zunächst verhält es sich mit dem Vokabellernen ein bisschen wie mit dem Klimawandel: Die Folgen des „falschen“ Handelns sieht man erst, wenn es zu spät ist: Wenn ich mit meinen Schüler:innen kaum Vokabelarbeit betreibe, hat es kurzfristig komfortable Vorteile, die Nachteile kann ich zunächst abfedern. Erst langfristig, wenn sich die Lücken kumulieren, wird es schlimm. Nach mir die Sintflut? Nein, so ticke ich nicht. Ich bemühe mich schließlich auch, nicht mehr zu fliegen, weniger Fleisch zu essen usw.
Der Hauptgrund ist ein anderer: Das Vokabellernen ist einfach ein leidiges Thema für meine Schüler:innen. Denn das Kerngeschäft bleibt nun einmal die Einzelarbeit des Individuums. Kein Kreuzworträtsel, keine kreativ-differenzierende Aufgabe, in der ein Schüler ein Bild malt, in dem möglichst viele der aktuellen Vokabeln vorkommen, die dann die anderen benennen müssen, ersetzt am Ende des Tages die stumpfe Listen- oder Karteikartenarbeit.
Fazit: Es braucht ein Umdenken in der Einbindung und Unterstützung bei Vokabelarbeit im Unterricht.
Lesen Sie dazu gerne weitere Artikel wie ➔ Warum es eine Innovation beim Vokabeln lernen braucht